14. Internationales DVSM-Nachwuchssymposium – „Musik im Spiegel ihrer technologischen Entwicklung“

Der Dachverband der Studierenden der Musikwissenschaft traf sich im Oktober letzten Jahres
zu seinem jährlichen Symposium in Lüneburg, das zum ersten Mal an einem nicht-musikwissenschaftlichen Institut durchgeführt wurde. Die studentische Gruppe der
angewandten Kulturwissenschaften (Fach Musik) richtete das Programm der Tagung
entsprechend interdisziplinär und anwendungsbezogen aus. Thema war die wechselseitige
Abhängigkeit von technologischer und musikalischer Entwicklung, die unter verschiedenen
Gesichtspunkten und in unterschiedlichen Sektoren betrachtet wurde. Neueste Medien und
ihre Auswirkungen auf den Kompositionsprozess kamen ebenso zur Sprache, wie das
Verhältnis von einzelnen Instrumenten, ihrer technischen Fortentwicklung und die
Ausformung spieltechnischer Virtuosität. In praxisnaher, angewandter Musikwissenschaft
wurde die Verwendungsvielfalt durch Sampling oder die Problematik des Urheberrechtes im
Internet behandelt.
Das Eröffnungskonzert gestaltete Helmut W. Erdmann, der in Lüneburg das
Fortbildungszentrum für Neue Musik und das Internationale Live Electronic Center leitet. Er
spielte zeitgenössische Werke für Flöte und Live-Elektronik in überzeugender Interpretation.
Den zweiten Abend füllte der Düsseldorfer Komponist Christian Banasik mit einem
abwechslungsreichen Gesprächskonzert. Aufgeführt wurden seine kammermusikalischen
Werke für Saxophon (Frank Timpe) und Klavier (Michael Nielen) solo bzw. mit Tonband.
Das letzte Konzert am Freitagabend stellte wieder einen ortsansässigen Musiker in den
Vordergrund: Kirchenmusikdirektor Dietrich von Amsberg interpretierte auf der historischen
Böhm-Orgel der St. Johannis Kirche Werke von Bach, Messiaen u.a.
Die Vortragenden setzten sich aus Musikwissenschaftlern, Komponisten und Fachleuten der
Musikwirtschaft zusammen. Michael Harenberg (Stutensee) lieferte einen historischen Abriss
der verzahnten Entwicklung von Technik und Musik am Beispiel der Orgel. In ähnlicher
Weise zielten die Vorträge von Prof. Dr. Ivan Raykoff (San Diego, USA) zum Klavier und
Dr. Peter Ahnsehl (Lüneburg) zur historischen Bedingtheit der musikalischen Virtuosität auf
die spieltechnische Abhängigkeit technologischen Wandels. Die Vorträge der Komponisten
Jay Chiarito Mazzarella (New York) und Jeremy Clark (Mallorca) thematisierten neue
Möglichkeiten und Bedingungen von technischem Fortschritt und Komposition. Das konkrete
Beispiel „Brain Opera“, vorgestellt von Dr. Bettina Schlüter (Bonn), stellte anhand des
interaktiven und multimedialen Projektes die grundlegenden analytischen und
historiographischen Kategorien der historischen Musikwissenschaft in Frage.
Ein anwendungsbezogener Themenblock widmete sich dem Urheberrecht, aber auch der
Konzeption und Umsetzung einer Musik-Homepage im Internet (am Beispiel der Bonner
Projektgruppe „Musik und Computer“), und auch Jochen Stolla sprach über
anwendungsbezogene Forschung: Der Musikwissenschaftler und gelernte Tonmeister
untersuchte die Kriterien für das Klangbild von Aufnahmen, insbesondere bei
Beethoven’schen Klaviersonaten. Seine Ergebnisse demonstrierte er eindrucksvoll im
anschließenden hörpraktischen Workshop. Zum Urheberrecht sprachen Dr. Hartwig Ahlberg,
Anwalt für Musik- u. Medienrecht (Hamburg) und Dr. Jürgen Brandhorst, Leiter des
Musikdienstes bei der GEMA (München). Eine engagierte Podiumsdiskussion zum Thema
„Urheberrecht und mediale Musik“ mit Vertretern der Musikwissenschaft und -wirtschaft
verdeutlichte Verständigungsschwierigkeiten und den Bedarf an Austausch zwischen
universitärem und wirtschaftlichem Sektor. Nichtsdestoweniger blieb diese
Auseinandersetzung für beide Seiten lehrreich.
Im Zusammenhang mit angewandter Musikwissenschaft sind auch der Vortrag zur Filmmusik
von Prof. Dr. Wolfgang Thiel (Potsdam) und die Darstellung der musikpädagogischen
Einbindung von Technik und Kreativität im Lehramtsstudium von Prof. Dr. Bernd Enders
(Osnabrück) zu erwähnen. Mit drei Beiträgen widmete sich die Tagung dem Verhältnis von
„posthistoire“, Pop und neuer Verfügbarkeit durch Technologien. Den Einfluss auf
künstlerische Produkte schilderten Thomas Böhm (Gießen), Thorsten Klages (Lüneburg) und
Martin Büsser (Mainz) – jeweils mit eigener Fragestellung. Beiträge zu grundlegend
musiktheoretischen und ästhetischen Überlegungen im wechselseitigen Verhältnis von Musik
und Technik steuerten der Leiter des Lüneburger Kompetenzzentrums für Ästhetische
Strategien, Dr. Rolf Großmann sowie Dr. Martin Elste und Dr. Martha Brech, beide aus
Berlin, bei.
Eine zweite Podiumsdiskussion rundete das Programm mit einem Thema ab, das zu den
prinzipiellen Anliegen des DVSM gehört. Unter dem vielsagenden Titel „Wer stört meinen
Schlaf?“ – Verpasst die Musikwissenschaft den Anschluss? ging es um die aktuelle Lage der
Musikwissenschaft in Deutschland. Wolfgang Marx (Hamburg) und Jan Hemming (Bremen)
lieferten als Ausgangspunkt der Debatte eine statistische Auswertung der Lehrpläne, die
regelmäßig in der Zeitschrift „Die Musikforschung“ veröffentlicht werden. Untersucht
wurden die Anteile von Systematischer und Historischer Musikwissenschaft sowie
Musikethnologie am Lehrangebot. Ebenso wurde das Vorkommen neuer oder auch
interdisziplinärer Ansätze untersucht (Veröffentlichung geplant, siehe auch den folgenden
Beitrag). Die Ergebnisse regten eine lebhafte Diskussion an.
In der nunmehr einige Jahre umfassenden Tradition der studentischen Symposien stellte auch
Lüneburg wieder Themenfelder in den Vordergrund, die die Studierenden ansonsten in der
Lehre vermissen: Auseinandersetzung mit neuen Methoden, Interdisziplinarität und
Praxisbezug. Dem Thema entsprechend stellte das Symposium neueste Vermittlungstechnik
zur Verfügung – alle Vorträge und Diskussionen wurden live über das Internet übertragen, so
dass sich auch Interessierte aus aller Welt an den Gesprächen in Lüneburg beteiligen konnten.
Eine konstante, wenn auch begrenzte Online-Beteiligung war zu verzeichnen, und der DVSM
wird auch in Zukunft zur Verbreitung dieser Vermittlungsform beitragen.
(C) Sabine Beck, Frankfurt