34. Internationales DVSM-Nachwuchssymposium »Women in Music – Zwischen Fame und Vergessenheit« vom 19. – 21. Dezember 2022 an der Universität Heidelberg

Women in Music – von Hildegard von Bingen über Johanna Müller-Hermann bis Ella Fitzgerald, Madonna und Billie Eilish. Die Namen der musikschaffenden Frauen haben sich durch ihre Werke in die Geschichtsbücher eingeschrieben. In der Musikforschung hat sich die Auseinandersetzung mit prominenten Frauen in der Musik – besonders im letzten Jahrhundert – weitestgehend etabliert. Allerdings ist das Potenzial weiblicher Musikgeschichte bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Dies liegt insbesondere daran, dass Frauen über die Jahrhunderte hinweg ein sich ständig änderndes Verständnis von geistiger Freiheit und gesellschaftlicher Wahrnehmung erlebten.

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wendet sich das Blatt entscheidend für weibliche Berufstätige nicht nur im musikalischen Kontext, sondern auch in der gesamten Gesellschaft und der Gedanke an eine gleichberechtigte Teilhabe scheint näher zu rücken. Trotz aller positiven Entwicklungen, insbesondere im 20. und 21. Jahrhundert, stehen Frauen in der Musik immer noch vor Herausforderungen, die ihre männlichen Kollegen nur selten betreffen. So ist beispielsweise der geringe Frauenanteil in der heutigen Musikindustrie ein Fakt, der auch in vielen anderen Berufsfeldern immer noch Realität ist. Viele Entscheidungspositionen dieser Branche sind eine Männerdomäne und sind mitverantwortlich für den niedrig bleibenden Frauenanteil. Können wir also annehmen, dass Anerkennung und Karrierechancen für Frauen früher wie heute ungelöste Problematiken sind? Wir wollen die Spuren der Frauen in der Musik in Vergangenheit und Gegenwart ergründen sowie über die Zukunftsperspektiven in der Musikwelt sprechen.

Das Nachwuchssymposium soll einen Einblick in die aktuelle studentische Forschung zum Thema ,,Women in Music” bieten. Es sollen zentrale Fragen diskutiert werden, z. B. wie sich die Rolle der Frau über die Jahrhunderte hinweg in der Musik verändert hat und wie sich die Anerkennung ihrer Existenz von Seiten der Wissenschaft gewandelt hat. Dabei möchten wir den Blickwinkel möglichst weit fassen und das Schaffen, Wirken und Werk von Frauen in der Musikwelt epochenübergreifend thematisieren. Zudem soll sich nicht nur auf Komponistinnen und Musikerinnen beschränkt, sondern auch die Perspektiven von Musikwissenschaftlerinnen, Musikproduzentinnen und anderen beleuchtet werden.
Das Symposium bietet zudem eine gute Plattform, Berufstätige der Musikbranche mit einzubeziehen und somit das Verständnis für aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich aus einem anderen Blickwinkel als dem der Forschung zu erlangen. Wir möchten dazu einladen, sich für neue Ansätze in der Musikforschung zu öffnen und gleichzeitig Bekanntes zu vertiefen. Wir fordern dazu auf, Bewährtes kritisch zu hinterfragen und Gefestigtes neu zu bewerten. Wir erhoffen uns ein erfolgreiches Aufeinandertreffen verschiedener Perspektiven, Fragen und Erkenntnisse zu der wohl zeitlosen Thematik “Women in Music”.

Symposiumsbericht

Vom 19.12. bis zum 21.12.22 fand das 34. internationale DVSM-Nachwuchssymposium zum Thema ,,Women in Music – Zwischen Fame und Vergessenheit” am  Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg statt. Ziel dieses jährlich stattfindenden Symposiums von und für Studierende ist, den Austausch unter Studierenden und Nachwuchswissenschaftler:innen zu fördern und einen Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit musikwissenschaftlichen Fragestellungen zu bieten. Mit ihrer Themensetzung ,,Women in Music” wollten die Heidelberger Studierenden in diesem Jahr Frauen und ihrem Wirken in der Musik eine Stimme geben. Ein besonderes Anliegen war es, den Arbeiten von bislang weniger bekannten Künstlerinnen nachzuspüren. 18 Referent:innen, sowie bis zu 45 Gäste nahmen teil – zumeist in Präsenz, einige online. 

Zum Einstieg in das Thema interviewte Prof. Dr. Christoph Flamm (Universität Heidelberg) die beiden ukrainischen Komponistinnen Karmella Tsepkolenko und Kira Maidenberg-Todorova, die über ihr Komponieren im und über den Krieg in der Ukraine berichteten. Durch das Interview erhielten die Teilnehmer:innen einen zutiefst persönlichen und berührenden Einblick in die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf das Leben und das künstlerische Schaffen von im Exil lebenden, als auch im Land verbliebenen ukrainischen Kunstschaffenden. Der anschließende Vortrag von Janica Dittmann (Hochschule für Musik, Tanz und Medien Hannover) untersuchte Handlungsräume von Frauen in der Musikkultur des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Musikschriftstellerin und -pädagogin Anna Morsch. Der Vortrag lieferte nicht nur Einblicke in das Schaffen und Wirken von Anna Morsch, sondern kritisierte exemplarisch auch die mangelnde musikgeschichtliche Aufarbeitung der Beiträge von Frauen zur Musikkultur des 19. Jahrhunderts. Leona Ludwig (Universität Tübingen) warf am Beispiel der Hamburger Musikpädagogin, Komponistin und Dirigentin Caroline Wichern ebenfalls ein kritisches Licht auf die erschwerte Erforschung von Künstlerinnen und weiblichen Persönlichkeiten mit einem Vortrag zur biographischen Frauenforschung durch Kontextualisierung der Publikationen bei geringer Quellenlage. 

Die meisten Vorträge widmeten sich dem Leben und Schaffen einzelner Komponistinnen. 

So präsentierte Constance de Glimes (Universität Kiel) eine Analyse von Madalena Casulanas Madrigal ,Morir non può’l mio core’ unter den Aspekten des Könnens und der Individualität der Künstlerin, die als eine der ersten Komponistinnen der Renaissance ihre Werke veröffentlichte. Der Kampf einer kunstschaffenden Frau, in einer von Männern dominierten Musikszene Gehör und Ansehen zu erlangen, wurde auch in der Vorstellung der Konzertpianistin und Komponistin Leopoldine Blahetka von Marianne Curschmann (Universität Tübingen) thematisiert. Der Vortrag befasste sich unter anderem mit der Frage, wie die Biographien von Frauen, die im Laufe der Geschichte vergessen wurden, aufgearbeitet werden können und zwar ohne sie dabei stereotypen Sichtweisen auszusetzen. Das Problem einer von geschlechtlichen Stereotypen geprägten Rezeption, das nicht nur zeitgenössisch, sondern auch heute noch besteht, wurde auch von Quinn Funk (Universität Köln) diskutiert. Erörtert wurde dies am Beispiel von Emilie Mayer, einer Komponistin des 19. Jahrhunderts.

Der Vortrag von Laura Schmalfuß (Universität Hamburg) über die Komponistin Maria Bach zeigte, dass auch trotz durchaus positiver zeitgenössischer Rezeption, ihr im letzten Jahrhundert entstandenes kompositorisches Œuvre beinahe vergessen wurde.

Auffallend viele der vorgestellten Künstlerinnen lebten und wirkten im 20. Jahrhundert. 

Eine von ihnen war die Dirigentin Gertrud Herliczka, die internationale Erfolge feierte, welche von Jera Petriček (Universität für Musik und darstellende Künste Wien) im Rahmen ihres laufenden Dissertationsprojekts erforscht wird und beim Symposium vorgestellt wurde. Auch die Pianistin Paula Hedwig Marx-Kirsch, deren Leben in einem Vortrag von Moritz Michel und Annabelle Woycke (Universität Heidelberg) fragmentarisch rekonstruiert wurde, genoss Zeit ihres Lebens große Anerkennung; sie geriet nach ihrem Tod ebenfalls zunächst in Vergessenheit. Ihr bibliothekarischer Nachlass bildete den Grundstock der Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Heidelberg und wird dort im Rahmen eines Seminars derzeit aufgearbeitet. Mit einem weiteren, bisher nicht aufgearbeiteten Nachlass befasste sich ein Proseminar der Universität Marburg unter der Leitung von Jakob Uhlig. Dieser berichtete von den studentischen Forschungen zur Biographie und dem Schaffen der Komponistin Felicitas Kukuck, die unter der Verfolgung des NS-Regimes litt. Unter dem NS-Terror litt auch die Komponistin Rosy Geiger-Kullmann. Jeruscha Strelow (Universität der Künste Berlin) stellte in ihrem Vortrag die Komponistin vor und untersuchte, welchen Einfluss Emigration und Exil auf ihr Schaffen hatten.

Der Vortrag von Valeska Maria Müller (Universität Wien) befasste sich mit der Komponistin Galina Ivanovna Ustvol’skaja und rückte ihre Verbindung und musikalischen Einfluss auf Šostakovič in den Vordergrund. Den Wirkungskreis von Komponistinnen auf ihre männlichen Kollegen erörterte auch Tobias Haueise (Universität Heidelberg) am Beispiel von Lili Boulanger. Besonders stach die These des Pariser Dreiecks (Boulanger – Debussy – Ravel) heraus.

Neben den musikhistorisch orientierten Vorträgen wurden auch Projekte, welche mit qualitativen Forschungsmethoden arbeiten, vorgestellt. So beschäftigte sich Rena Janßen (Universität Oldenburg) mit Safer Spaces für FLINTA* und verfolgte in dem vorgestellten Projekt das Ziel, aus einer intersektionalen Perspektive diese zu untersuchen. Franziska Schoch (kreHtiv Netzwerk Hannover) untersuchte die Chancen und Potenziale von Frauen- und FLINTA*-Musiknetzwerken für Musikbrancheakteur:innen und feministische Bestrebungen. Auch für Gesprächsformate jenseits der klassischen wissenschaftlichen Vorträge war Platz. So lud Christian Brohm (Universität Heidelberg) den Fotografen Johannes Strassl ein, mit dem er über dessen Ausstellung ,,Zwischen den Pulten” sprach, die für die Dauer des Symposiums im Musikwissenschaftlichen Seminar in Heidelberg zu sehen war. Ziel der Heidelberger Ausstellung war es, die Sichtbarkeit von Musikerinnen im Orchester zu fördern. Von Dr. Henrike Rost bekamen die Zuhörenden das ,,FCQ – Female Composers Quartets” vorgestellt. Das FCQ ist eine Spiele-App, welche an das traditionelle Quartett-Kartenspiel anknüpft, aber eben nun digital, Neugier wecken und Wissen über Komponistinnen der Vergangenheit und Gegenwart aus allen Enden der Welt vermitteln will.

Dass es hier noch viel zu entdecken gibt, hat das Heidelberger Symposium durchaus gezeigt. Im Mittelpunkt standen hier schwerpunktmäßig Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Vielleicht nimmt ein zukünftiges Symposium musikschaffende Frauen aus weiteren Jahrhunderten sowie dem außereuropäischen Raum in den Blick.  

Den Abschluss der dreitägigen Veranstaltung bildete ein Konzert in der Aula der Alten Universität. Auf dem Programm standen, ganz im Sinne des Symposiums, ausschließlich Werke von Komponistinnen. Zu hören waren neben Werken für Violine und Klavier von Lili Boulanger unter anderem Lieder der brasilianischen Komponistin Chiquinha Gonzaga für Gesang und Klavier. Weiterhin standen Werke der zeitgenössischen Komponistin Lera Auerbach für Solo-Violine auf dem Programm. Interpret:innen waren Philipp Hänisch, Charlotte Sosa, Sua Noh und Melissa Leão.

Autorinnen: Annabelle Woycke, Lara Bräuninger (Universität Heidelberg) 2023